Eine
Oper? Eine Kantate? Ein gesungenes Telefonbuch? Nein! Am Mittwoch
war im Brucknerhaus ein einzigartiger, mutiger Versuch zu erleben,
scheinbar spröde philosophische Literatur in Musik zu gießen.
Es
war gleichzeitig der Auftakt der Residenz von Anna Maria Pammer,
die in den nächsten drei Jahren dem Linzer Konzerthaus eng
verbunden sein wird.
Es
handelte sich aber nicht um irgendeinen philosophischen Text, sondern
um einen, der zu den bedeutendsten Denkanstößen des 20.
Jahrhunderts zu zählen ist: Ludwig Wittgensteins „Tractatus
logico-philosophicus“. Und Balduin Sulzer hat dazu Musik erdacht,
die auf den ersten Blick nicht spröder sein könnte und
doch einen unglaublich spannenden Abend bescherte. Sulzer hat hier
eine Ein-Frau-Oper geschrieben, ein Werk für Sopran solo und
sonst nichts. Die einzige nicht vokale Zutat waren Schlaginstrumente,
die die Sängerin höchst ausdrucksvoll selbst zum Klingen
brachte.
Die
musikalische Grundidee geht von der Musik der Entstehungszeit des
Tractatus, also der Zeit des Ersten Weltkriegs, aus und greift mit
den gewagt großen und schwierig zu treffenden Intervallen
und dem aberwitzig schnellen und in extremsten Höhen geflüsterten
Sprechgesang auf die Wurzeln neuer Gesangskultur der Zweiten Wiener
Schule zurück.
Aber
nicht nur in der Textrealisation finden sich Bezüge zu Schönberg,
sondern auch in der reihenförmigen Struktur der Töne,
die dem 75-Minuten-Werk Zusammenhalt gibt. Minutiös deutet
Sulzer die Sätze, legt Schwerpunkte auf einzelne Ausdrücke,
markiert immer wiederkommende Wörter – so zum Beispiel
den Begriff „Sachverhalt“, dessen Sprachrhythmus jedes
Mal mit dem Holzblock mitgeklopft wird.
Damit
treibt er die Akribie und Insistenz des Textes auf die Spitze, analog
zum fast krankhaften Ordnungsfimmel des österreichisch-britischen
Philosophen. Anna Maria Pammer – auch wenn sie es nicht gerne
hört – ist eine echte Spezialistin für zeitgenössische
Musik. Deshalb, weil sie jede Note ernst nimmt und so auch zu beseelen
weiß.
Von
ihr kam auch die Idee, das Stück szenisch zu realisieren, also
entweder am Pult stehend zu dozieren, oder nervös nach Lösungen
suchend umherzulaufen, oder in Gedanken versunken am Schreibtisch
sich erkennend auf die Stirn zu schlagen.
Gelungener
Auftakt
Atemberaubend
war aber nicht nur die szenische Umsetzung, sondern vor allem die
unglaublich deutliche Diktion, die jedes Wort verständlich
machte.
Ein
höchst gelungener Auftakt für die Artist in Residence
und eine das Publikum begeisternde Premiere für ein Opus magnum
Balduin Sulzers.
vom 20.10.2007
http://www.nachrichten.at/kultur/604729?PHPSESSID=ad9e16b9ffb0782afae7b496727f2be8
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Philosophisch-musikalisches
Holzfällen
von
Norbert Trawöger
Balduin Sulzers "Tractatus logico philosophicus", eine
musikalische Annäherung an Ludwig Wittgenstein für Sopran
solo, wurde am Donnerstag (18.10.) im Brucknerhaus Linz uraufgeführt.
Ein
philosophisch-musikalisches Hochamt ist Balduin Sulzers Vertonung
von Ludwig Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus"
für Sopran und unterschiedliche Klanggeräte. Es war vor
allem die Stunde der Anna Maria Pammer, die Sulzers "musikalische
Annäherung" in präzis betörender Theatralik
und großer Stimmgewalt zu zelebrieren wusste.
Balduin
Sulzer nähert sich Wittgensteins frühem philosophischen
Grenztext in durchtrieben asketischer Art an. Er katapultiert den
Text durch rezitativischen Sprechgesang, der zwischen Gregorianik,
barocker Passionsberichterstattung und "pierrotscher"
Wortgestik changiert, in eine Zone, die die eigene Wahrnehmung zwischen
Text und Musik offen und pendeln lässt.
Nach
einiger Zeit ist das eigene text-aufnehmende Fassbarkeits-Fass voll
und man verfällt vollends Sulzers monodischer Kraft: Man gerät
in einen archaischen Dämmerzustand, in dem der Komponist Wittgensteins
Satzbäume zu einem begehbaren Wald werden lässt.
Und
in genau dem Moment setzt sich Anna Maria Pammer an den Schreibtisch,
schraubt ihre Stimme flirrend, flüsternd hoch - und gibt einem
die Bäume wieder zurück. Pammer, in einen Wittgenstein’schen
Trenchcoat gehüllt, ist in jedem Moment souveräne Meisterin,
ja nahezu Beherrscherin der Vorgänge. Sie hält geschickt
inne, nutzt die sparsam vorgeschriebenen Klanggeräte wie Triangel,
Gong, Peitsche, Guirro in ihrer rituellen Zeichensetzung. Zauberbevollmächtigt.
Alles spitzt sich zu auf den letzten Satz "Wovon man nicht
sprechen kann, darüber muss man schweigen". Melismierend
setzt Sulzer den Schlusspunkt, ein sanfter Gongschlag folgt und
der Zauber hat ein Ende, aber er wirkt nach.
19.10.2007
http://www.drehpunktkultur.at/txt07-10/5488.htm
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Linzer
Brucknerhaus im Zeichen Wittgensteins
von
Christine Grubauer
Zu
einem "Wittgenstein-Fest" entwickelte sich der Soloabend
der Sopranistin Anna Maria Pammer Donnerstagabend
im gut besuchten Linzer Brucknerhaus. Im Zentrum stand die Uraufführung
des von Balduin Sulzer in Musik gekleideten "Tractatus
Logico-Philosophicus" (1921), einer der maßgeblichsten
philosophischen Abhandlungen des 20. Jahrhunderts vom Wiener Ludwig
Wittgenstein. Sulzer schuf die Komposition für Sopran-Solo
und unterschiedliche Klanggeräte, formulierte sie als "1-Personenstück"
und nannte sie "eine musikalische Annäherung". Der
mit höchsten technischen und musikalischen Anforderungen gespickte
Solopart, bei dem die Sängerin auch noch die auf der Bühne
arrangierten Instrumente spielte, wurde von Anna Maria Pammer souverän
gemeistert, ihrer packenden Vortragskunst gelang es, die Zuhörer
70 Minuten lang in atemloser Spannung zu halten. Pammer wird ja
als "Artist in Residence" im Brucknerhaus in den nächsten
drei Jahren dessen Programm maßgeblich mitbestimmen. Der Einführungsvortrag
des Präsidenten der Wittgenstein-Gesellschaft, Christian Kanzian,
Derek Jarmans Film "Wittgenstein" sowie Gerlinde Hasenbergers
im Foyer ausgestellte Bilder zu "Wittgenstein – Sulzer"
(am 24. Okt. nochmals zu sehen) rundeten den qualitätsvollen
Abend ab.
Neues
Volksblatt vom 20. 10. 2007
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Magie
des Bizarren mit poetischem Dreh
Pammer begeisterte in allen Tonlagen
von
Ingrid Feilmayr
Einen
Abend der Spitzenklasse bot Sopranistin Anna Maria Pammer am Donnerstag
im Brucknerhaus.
Linz.
Anna Maria Pammer ist seit dieser Saison Artist in Residence im
Brucknerhaus. Die international anerkannte Sängerin wünschte
sich von ihrem Lehrer Balduin Sulzer eine Solo-Komposition für
Sopran mit unüblichen Instrumenten. Angelehnt war das Ganze
an das Hauptwerk Tractatus Logico-Philosophicus des Philosophen
Ludwig Wittgenstein. Dieser hat einige Zeit die heutige Fadingerschule
besucht. Seine Maturaarbeit kann gegen Voranmeldung dort von Interessierten
eingesehen werden.
Skurril, poetisch. Aus diesen Vorgaben heraus entstanden
skurril-bizarre Klänge, getragen von Sulzers unverkennbarem
musikalischen Schalk, aber auch mit unglaublich poetischen Elementen.
Für die Stimme ein Gewaltakt in höchster Stimmlage und
dann wieder sehr tief, mit viel Sprechgesang und schrillen Tönen.
Bewundernswert die Konzentrationsfähigkeit der Akteurin. Ganze
eineinhalb Stunden gab sie ihre volle Präsenz unvermindert
ans hingerissene Publikum weiter. Zusätzlich faszinierten die
untermalenden „Geräusche“, angefangen von Gongschlägen,
Rasseln, Klingen und ähnlichem.
Abgerundet wurde der Abend mit recht geglückten Sulzer-Porträts
von Gerlinde Hasenberger und einem skurrilen englischen Film über
Wittgenstein, der 1951 in Cambridge starb.
Österreich
vom 20. 10. 2007
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Der
Zauber wirkt nach
Sulzer-Uraufführung mit A.M.Pammer
von
NT
Ein
philosophisch-musikalisches Hochamt zelebrierte Balduin Sulzers
Vertonung von Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“
für Sopran und Klanggeräte im Linzer Brucknerhaus. Es
war vor allem auch die Stunde der Anna Maria Pammer, die Sulzer
präzise und mit Stimmgewalt zu feiern weiß.
Balduin
Sulzer nähert sich Wittgensteins Grenztext in durchtrieb asketischer
Art. Es befällt einen ein archaischer Dämmerzustand, in
dem Sulzer Wittgensteins Satzbäume wieder zu einem begehbaren
Wald werden lässt. Und in genau dem Moment setzt sich Anna
Maria Pammer zum Schreibtisch, schraubt ihre Stimme flirrend, flüsternd
hoch und ist in jedem Moment souveräne Meisterin, ja nahezu
Herrscherin der Vorgänge. Sie hält geschickt inne, nutzt
die sparsam vorgeschriebenen Klanggeräte wie Triangel, Gong,
Peitsche, Guiro in ihrer rituellen Zeichensetzung zauberbevollmächtigt
und spitzt alles auf den letzten Satz "Wovon man nicht sprechen
kann, darüber muss man schweigen" zu. Melismierend setzt
Sulzer den Schlusspunkt, ein sanfter Gongschlag folgt und der Zauber
hat eine Ende – aber er wirkt nach.
Kronenzeitung
vom 20. 10. 2007
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Sulzer
in Linz
von
M.W.
Balduin
Sulzer überrascht immer wieder aufs Neue, wie er auch für
die ungewöhnlichsten Besetzungen so zu schreiben weiß,
dass ein zeitgemäßes und gleichzeitig für ein größeres
Publikum noch akzeptables Werk entsteht. Dass sein Erfolg so weit
über die Grenzen Oberösterreichs hinausreicht, verdankt
er auch seinen Schülern. Der Auftakt zu Brucknerhaus-Konzerten
anlässlich des 75. Geburtstags des Komponisten war ein gewagtes
Projekt, das die neue "Artist in Residence", die Sopranistin
Anna Maria Pammer, mit initiiert und auch uraufgeführt hat.
Sulzer liebäugelte schon länger mit der Idee, das Hauptwerk
von Ludwig Wittgenstein, den Tractatus Logico Philosophicus,
in Musik zu fassen. Schon vor einiger Zeit komponierte er zudem
für Pammer, die im Linzer Musikgymnasium auch seine Schülerin
gewesen war, ein 20-minütiges Werk für Sopran solo und
in Anlehnung an die im vorigen Jahr im Brucknerhaus von Christine
Ascher aufgeführten One Woman-Operas entstand nun diese One-Woman-Lecture.
Die einzige nicht vokale Zutat waren Schlaginstrumente, die die
Sängerin höchst ausdrucksvoll selbst zum Klingen bringen
„durfte“.
Die musikalische Grundidee greift mit den gewagt großen und
schwierig zu treffenden Intervallen und dem aberwitzig schnellen
und in extremsten Höhen geflüsterten Sprechgesang auf
die Wurzeln neuer Gesangskultur der Zweiten Wiener Schule zurück.
Aber auch in der reihenförmigen Struktur der Töne, die
dem 75-Minuten-Werk Zusammenhalt gibt, finden sich Bezüge zu
Schönberg. Dabei geht aber Sulzer nicht im strengen Sinn der
Reihentechnik vor, sondern entwickelt Motive, die – gerade
auch wortdeutlich die wissenschaftliche Insistenz betonend –immer
wiederkehren. Anna Maria Pammer ist – auch – eine echte
Spezialistin für zeitgenössische Musik, die jede der für
viele noch immer verschreckend modernen Linien zu beseelen weiß.
Von ihr kam auch die Idee, das Stück szenisch zu realisieren.
Atemberaubend war aber nicht nur die bühnengerechte Umsetzung,
sondern vor allen die unglaublich deutliche Diktion, die beinahe
jedes Wort verständlich machte: eine das Publikum begeisternde
Premiere für ein Opus magnum Sulzers.
ÖMZ
1/2008, S. 54f.
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Neues
Für Linz - aus Balduin Sulzers Schaffen
von
Franz Zamazal
Subtile
Wortmusik
Anna
Maria Pammer gestaltete die abendfüllende Uraufführung
mit dem Text "Tractatus logico-philosphicus" von Ludwig
Wittgenstein ganz allein mit ihrem Sopran und hatte dabei, den Vorgaben
des Komponisten entsprechend, viel zu bewältigen: die Schönheit
von Sprache als Melodie, Geräusch, Klang und Rhythmus, eingebettet
in eine subtile Wortmusik, die dem Untertiel des Werks als "eine
musikalische Annherung" an das Werk des Philosophen voll und
ganz entspricht. Der Komponist hat den ganzen Ablauf der Singstimme
genauestens notiert und versteht die wenigen Beigaben aus "Klanggeräten"
gleich Interpunktionen. Die Sängerin brillierte mit Ausdruck,
Intensität , Sprache und Musikalität und wurde so dem
eigenwilligen Werk in der ganzen Breite und Tiefe mehr als gerecht.
Diese Uraufführung bedeutete für den Kompnisten und seine
Interpretin einen großen Wurf.
Kulturbericht
Oberösterreich, 61. Jahrgang, Folge 12,
Dezember 2007
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